Transalp 2021 – Das Schweizer Wallis

Die Tourdaten findest du hier.

Tag 1 – Zermatt, Oberrothorn, 1.900 hm, toller Einstieg

Nach der gestrigen Ankunft im autofreien Zermatt beginnen wir unseren ersten Fahrtag um 8 Uhr und arbeiten uns gut gelaunt steile, aber (noch) fahrbare Hänge hoch in Richtung Oberrothorn.

Je weiter wir uns dem heutigen Ziel nähern, desto steiler werden die Schotterpisten, und wie so oft auf unseren Touren müssen wir unsere Räder schieben oder auf dem Rücken tragen.

Warum machen wir das? Könnte man sich fragen. Aber in gewissem Maße sind wir doch Puristen und fahren nur das herunter, was wir uns vorher erkämpft haben. Warum? Dafür hat jeder seine eigenen Gründe. Warum ich das tue? Weil ich es (noch) kann. Das Alter nagt, aber ich bleibe trotzig. Stur, ja, doch so fühle ich mich am besten. Ich glaube, das geht uns allen so.

Das eigentliche Ziel, das Oberrothorn, lassen wir aus, denn 300 hm zusätzliches Tragen kommt uns heute nicht in den Sinn. Dafür lockt eine Hütte auf 3100 Meter Höhe, die erbärmliche Panini zu unverschämten Preisen anbietet, die nur hungrige Biker in Betracht ziehen können.

Die Abfahrt? Seht selbst, einfach grandios. Das Matterhorn stets im Blick schwingen wir uns über flowige, teils technische Trails ins Tal. Die Belohnung, endlich. Und schon tun die alten Knochen wieder ein bisschen weniger weh…

Tag 2 – Zermatt, Gornergrat, 1.540 hm, entspannter Tag mit sensationeller Abfahrt

Der Gornergrat sucht seinesgleichen. Die Auffahrt ist entspannt, die Tragestellen erträglich, und in nur 1500 Höhenmetern erreichen wir den Grat. Doch die Abfahrt, die Abfahrt, ja, sie ist besonders.

Als die Abfahrt vor uns liegt, dem Helge der Verstand versiegt. Wohl wissend, dass uns die nun folgende Strecke direkt am vielleicht schönsten und einprägsamsten Punkt der Schweizer Alpen, dem Riffelsee, vorbeiführt, setzt das Abfahrtsfieber ein, das mein Gehirn auf die Größe einer Erbse zusammenschrumpfen lässt.

Der Instinkt setzt ein, ich fahre los, vergesse meinen Rucksack am Abfahrtsort und nehme zu meinem Unglück eine falsche Abzweigung, die Andreas und mir diesen epischen Moment entreißen wird, auf den wir so lange gewartet haben.

Der Riffelsee bleibt für uns beide ein Traum, der uns vielleicht wieder einmal in diese Gegend führen wird. Aber er bleibt ein Traum… Wir verpassen ihn.

Als wir mit dem Rest der Gruppe aufschließen, folgen Pfade der Spitzenklasse, schnell, teils technisch, wenig ausgesetzt. Die Arme brennen noch, als wir im Tal kurz vor dem Ort Zermatt ankommen. Der Tag hat sich gelohnt, und Helge ist auf den Geschmack gekommen, auch mal ohne Gepäck abzufahren. Denn meinen Rucksack hat netterweise Uli mitgeschleppt. Fahren ohne Rucksack auf dem Rücken ist großartig, Fahren mit zweien ziemlich Sch…

P. S.: Wer sich nun fragt, woher das Bild vom Riffelsee und dem Matterhorn stammt, dem sei gesagt: nicht von mir. Over and out.

Tag 3 – Varen/Wallis, Meidpass, 2.600 hm, krasse Abfahrten

Mal wieder eine Erkenntnis, die nicht neu ist, die es aber in sich hat: Plane die Fahrt, fahre nach Plan. Abweichungen können zum Ziel führen, aber der Weg dorthin ist in unserem Fall natürlich viel wichtiger.

Der Weg auf den Meidpass ist steil, aber bis 500 hm vor dem 2.770 Meter hohen Gipfel gut fahrbar. Zu Beginn sind die Straßen noch asphaltiert, später begleitet uns Schotter für gute zwei Stunden, bevor der letzte Abschnitt vor uns liegt.

Wasser ist etwas Mangelware an diesem Tag, Hütten finden sich ebenfalls keine. Entsprechend zäh gestaltet sich der letzte Anstieg über 90 Minuten zum Meidpass, der sich als echter Augenschmaus herausstellt. Der gezackte Grat am Horizont, die felsige Landschaft, die mit grünen Flechten überzogen ist, und letztendlich der Meidsee bescheren uns eindrückliche Momente, die den Qualen trotzen und uns in Erinnerung bleiben werden.

Die Abfahrt ist wieder einmal grandios und recht technisch. Abweichungen vom Plan werden bestraft mit Weiden, auf denen aufgeregte Kühe grasen. Ein „Keine Angst, die sind nur neugierig…“ beruhigt hier keinen, zumindest mich nicht, und wir sind froh, als wir diesen Abschnitt hinter uns lassen können.

Der beste Teil der Abfahrt kommt zu einem Zeitpunkt, an dem wir ihn am wenigsten erwarten. Ich will erst vom Plan abweichen und die Straße ins Tal wählen, weil es spät ist. Doch der Rest der Gruppe insistiert, und es folgt eine Abfahrtsjagd über Wurzeln, Geröll und Waldboden, was in dieser Qualität nur selten zu finden ist.

Heute kommen wir etwas spät am Ausgangsort an, aber ich glaube, dass alle etwas von diesem Tag mitnehmen können. Und sei es nur die Erkenntnis, dass Pläne ihren Sinn haben… und manchmal eben auch nicht. Und Uli, du bist ungeschlagener Pannenkönig!

Tag 4 – Sierre/Wallis, 2.365 hm, Brazilian, längste Abfahrt bislang

Heute ist unser Entspannungstag, 2.100 hm sind geplant, doch ich nehme als einziger versehentlich eine andere Abzweigung und muss extra Höhenmeter in Kauf nehmen. Das ist nicht schlimm, denn ich liege streckentechnisch zwischen der ersten und zweiten Gruppe und kann auf 2330 Meter Höhe gemütlich einen Kuchen und Suessmoscht zu mir nehmen und Pause machen.

Der Anstieg ist insgesamt konditionell moderat, dafür landschaftlich beeindruckend wie immer hier im Schweizer Wallis. Wir verlassen auf der Höhe von 2200 Metern die fahrbare Strecke und tragen die Räder die letzten 300 Höhenmeter, während wir das Vallon de Rechy hinter uns lassen.

Die Strecke, für die wir uns heute entschieden haben, wird in der Biker-Welt „Brazilian“ genannt. Warum? Das können wir nur erahnen. Aber über eine Strecke von 15 km erstreckt sich eine Abfahrt, die es in sich hat und allen Teilnehmern ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Trails im Schwierigkeitsgrad S1 mit zum Teil deutlichen S2-Allüren. Alles sehr flüssig fahrbar mit schnellen Passagen und steilen Kurven, und das alles gibt es fast ohne Unterbrechung durch erneute Anstiege.

Der Brazilian ist zu recht einer der aufregendsten Trails in den Walliser Alpen. Ein Abfahrtsspektakel, das man selten in dieser Ausführlichkeit erleben darf.

Technisches: Hatte heute tatsächlich meinen ersten Platten mit einem Tubeless Reifen. Die Flickzeit alleine ist schon Werbung genug für alle Umrüstwilligen: keine 5 Minuten, davon 3 Minuten Pumpen…

Tag 5 – Sierre/Wallis, Plaine Morte, 2.900 hm, kein Erholungstag

Das Frühstück liegt uns noch im Magen, und schon beginnt der steile und lange Anstieg zum Plaine Morte Gletscher auf über 2.800 Metern.

Zu Beginn rollen wir noch über Asphalt, doch schon bald türmen sich lange Schotterpisten vor uns auf, die nur teilweise gefahren werden, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, das Plaine Morte zu erklimmen und 30 km Abfahrtsfeuerwerk hinter sich zu bringen.

Die letzten 700 Höhenmeter teilen sich wieder einmal in Schiebe- und sonst so zermürbende Tragepassagen auf. Erstaunlicherweise geht uns das Tragen heute leicht von der Hand, so dass wir mit Reserven am Plaine Morte Gletscher ankommen und den Moment des Ausblicks auf das gewaltige Naturphänomen in uns aufnehmen können. Vergleichbares haben wir selten gesehen.

Vorbei am Wisshore-Gipfel beginnt die Abfahrt an der Wildstrubelhütte des Schweizer Alpenclubs. Die teils sehr technischen und abschüssigen S3-Trails bewältigen wir dank viel Federweg und einer gehörigen Portion Wagemut. Aber die Strecke ist fahrbar und mündet in einem langen Pfad in den Schwierigkeitsgraden S1 und S2, um dann wieder in S3-Passagen überzugehen, die uns die Herzen höher schlagen lassen.

Mut braucht man auf der 30 km langen Abfahrt, die zu einer der längsten der Schweizer Alpen gehört. Zum Teil sind die Pfade empfindlich ausgesetzt, so dass selbst erfahrenen Fahrern eine gehörige Portion Adrenalin durch den Körper schießt.

Die lange Zeit der Konzentration geht nicht spurlos an uns vorüber, so dass es schlussendlich zu einem ernsteren Sturz den Abhang hinunter kommt, der aber gut ausgeht. Glück gehabt, an einer anderen Stelle hätte das ein böses (keine Anspielung an den Namen des Kandidaten) Erwachen geben können.

Nach 2.900 Höhenmeter fühlen wir uns vor allem mental erschöpft, aber euphorisch. So eine Abfahrt hat man wirklich nicht alle Tage. Und Pannen hatten wir heute keine!

Tag 6 – Sierre/Wallis, 1.700 hm, eigentlich angenehm

Der letzte Tag ist angebrochen. Geplant ist für heute, wenige Höhenmeter hinter uns zu bringen und im Anschluss ausgewiesene S1/S2 Trails zu fahren.

Das klappt insgesamt gut, doch leider müssen wir auch heute eine kürzere Etappe das Fahrrad auf dem Rücken tragen, auch wenn das nach den Strapazen der letzten Tage dem einen oder anderen als angenehm vorkommen mag.

Die Abfahrt ist wie gewohnt flüssig, zum Teil etwas technisch, aber vom Ausgangspunkt bis zur Pension durchgehend fahrbar ohne weitere größere Anstiege.

An der Pension angekommen verbleibt das Resümee der diesjährigen Tour, das wir gemeinsam auf der Terrasse der Pension bei einem Bier und später ausgiebig in einem Restaurant beim letzten gemeinsamen Abendessen ziehen: Schön war es. Aber auch grenzwertig. Schlüssel für das Funktionieren des Teams ist Kommunikation und die Verständigung auf ein paar wenige Grundregeln, an die wir uns alle halten müssen.

Nach der Tour ist vor der Tour, und ich hoffe, dass das nächste Jahr eines von vielen weiteren sein wird, in denen diese außergewöhnliche Gruppe zusammenkommt und gemeinsam die letzte Abfahrt einer erfolgreichen MTB-Tour bei einem Glas Wein feiert. Denn schön soll es bleiben.

Transalp 2020 – Das Aostatal

Die Tourdaten findest du hier.

Die Anreise

Unsere Ankunft bei 35 Grad im Aostatal, und wir kommen schon ohne körperliche Aktivität ins Schwitzen. Unsere Unterkunft in Aymavilles ist frugal, aber funktional. Die zehn Mountainbikes müssen wir allerdings über mehrere Räumlichkeiten verteilen, denn dafür ist das Hotel einfach nicht ausgelegt. Zu unserem Glück fahren wir alle nicht-elektrisch und sind in der Lage, einige der Räder in den Aufenthaltsraum im ersten Stock zu hieven.

Vor uns liegen die schönsten Strecken, die das Aostatal und vielleicht die gesamten Westalpen zu bieten haben! Insgesamt werden wir 12.000 Höhenmeter zurücklegen und an drei Tagen die 3000-Meter-Grenze überschreiten. Der höchste Punkt liegt mit 3.260 Metern über dem Meeresspiegel höher als alles, was wir bislang in den Alpen mit dem MTB erklommen haben.

Ja, die Aufregung ist deutlich zu spüren, und irgendwie sind wir alle wieder zu kleinen Jungs geworden, die sich kurz vor Weihnachten diebisch auf die Geschenke am Heiligen Abend freuen. Aostatal, du wirst uns nicht enttäuschen und verzauberst uns jetzt schon mit deinen majestätischen Bergen, einem wolkenlosen Himmel und der Aussicht auf kulinarische Höhepunkte nach langen und körperlich zehrenden Fahrtagen.

Meine Hoffnung für diese Woche: brennende Oberschenkel, zermürbende Singletrails, keine Pannen und jede Menge Zuversicht und Zufriedenheit beim gemeinsamen Bier am Abend! Prost, Jungs!

Tag 1 – Abfahrt über den Banzai-Trail (2.505 hm Auffahrt)

Der Tag begrüßt uns mit bestem Wetter. Das Frühstück ist sparsam, aber die wenigen Weißbrötchen und Croissants werden dankbar angenommen. Ein kurzes Zusammensitzen, und wir packen unsere Besitztümer für die nächsten sechs Tage in den Rucksack und starten um 8.15 Uhr unsere Reise in den Tag.

Die Auffahrt zum Passo Invergneux verläuft zuerst über das kleine Dörfchen Cogne. Von dort aus bewegen wir uns noch kurz über Asphaltstraßen, bevor links abbiegen und die echten Höhenmeter in Angriff nehmen.

Der Anstieg ist anspruchsvoll, doch gut fahrbar. Auf den letzten 300 Höhenmeter müssen wir jedoch wieder einmal unsere Räder schieben und tragen, bevor sich der Pass vor uns auftut und feinste Trails zurück nach Cogne preisgibt.

Die Gruppe teilt sich, weil wir zum einem auf Nachzügler warten und zum anderen die ersten Kollegen von Kopfschmerzen geplagt werden, die auf das Konto der Höhe von 2.902 Metern über dem Meeresspiegel gehen (mich eingeschlossen).

Der vor uns liegende Banzai-Trail ist ein Hammer! Flüssige Abschnitte im S1-Bereich wechseln sich ab mit Strecken im zweiten Schwierigkeitsgrad (S2). Einige Stufen und kürzere Strecken sind uns zu heikel, daher wird abgestiegen und ein kurzes Stück geschoben.

Bevor wir Cogne erreichen, folgt noch ein kurzer technischer Trail, auf dem wir unsere Koordination testen können. Gegen 18 Uhr kehren wir in unserem Hotel ein und beginnen mit dem entspannten Teil des Tages.

Die Erkenntnis des heutigen Tages: Man kann es nie allen recht machen.

Tag 2 – Das Col du Loson (1.900 hm, davon 1.700 hm Tragen und Schieben)

Ich muss kurz durchatmen, bevor ich diese Zeilen verfassen kann. Nach einer kurzen und verunsichernden Debatte am Vorabend unserer heutigen Tagesetappe entschließen sich sieben von zehn Teilnehmern, diesen Abschnitt der Tour nicht auszulassen und sich auf ein Abenteuer einzulassen, dessen Ausgang ungewiss ist.

1.700 Höhenmeter liegen vor uns, aber nicht fahrender-, sondern schiebender- bzw. tragenderweise. Eigentlich war das Credo für dieses Jahr, genau das zu vermeiden, doch die Abfahrt auf der anderen Seite des Col du Loson lockt, und die Neugier überwiegt. Entschlossen stehen wir am nächsten Morgen auf und beginnen den Tag um 9.15 Uhr.

Der Aufstieg ist mühsam. So viel steht fest. Doch überrascht sind wir alle darüber, wie leicht uns die Schiebe- und Tragepassagen fallen! Die Luft wird zunehmend dünner hier oben, wir bewegen uns stoisch über Krater- und Mondlandschaften und arbeiten uns Stück für Stück den Pass hinauf. Menschen begegnen wir nach dem Mittagessen im Refugio Vittorio Sella kaum noch. Die wenigen Wanderer, denen wir noch begegnen, fragen uns erstaunt, ob wir wirklich mit dem Fahrrad die richtige Richtung gewählt haben und wünschen uns Kraft und Erfolg. Sehr ermutigend…

3.300 Meter über dem Meeresspiegel, wir erreichen das Col du Loson. Nicht allen geht es blendend, aber zwei weitere Mountainbiker, denen wir auf dem Pass begegnen, bestätigen uns, dass eine einmalige und vor allem fahrbare Abfahrt vor uns liegt.

Und was für eine Abfahrt! Nach 300 Höhenmetern des Abtragens beginnt der fahrbare Teil des Trails, und ich glaube, dass ich selten eine solch spektakuläre Abfahrt vor mir liegen hatte. Alles im S1- bzw. S2-Bereich, schnelle Passagen wechseln sich mit technischen Abschnitten ab, und die Landschaft gibt einen der schönsten Teile der Westalpen preis.

Wir kommen spät am Zielort an, aber das Adrenalin schießt noch durch unsere Adern, und ungläubig erzählen wir unseren zurückgebliebenen Kollegen, was für ein Fest von einem Tag hinter uns liegt!

Erkenntnis des Tages: Glaube nicht immer alles, was du hörst, sondern vertraue auch auf deine innere Stimme.

Tag 3 – Pointe Chaligne (2.080 hm, 18 Platte Reifen)

18 platte Reifen? Hä? Tippfehler? Nein. Fahranfänger? Nein. Betrunken gefahren? Entschiedenes Nein! Aber jetzt erst einmal von Anfang an…

Das Wetter ist großartig, und wir packen unsere Siebensachen nach einem gründlichen Frühstück. Der erste Anstieg über 1.700 Höhenmeter am Stück bis auf den Gipfel, Pointe Chaligne (2.607 MüM), verläuft reibungslos, nur die letzten 300 Höhenmetern müssen wir über 45 Minuten schieben bzw. tragen.

Hier entstehen unsere ersten Luftaufnahmen per Drone, während sich die Gruppe sammelt und eine Pause einlegt. Über einen exponierten Grat beginnt die Abfahrt mit technischen Trails auf der ersten und flüssigen Pfaden auf der zweiten Hälfte. Alles verläuft mit zwei Platten (aufgrund von Schlägen auf die Felge) reibungslos.

Doch 18 Platten an einem Tag? Wir folgen Komoot über ein verträumtes Straßennetz in der Nähe des Tals, und wenige hundert Meter von unserem Hotel entfernt passiert es dann: Ein Dornenfeld bedeckt den Pfad, und kleinste Stacheln bohren sich mit aller Kraft durch sämtliche Reifen der Fahrergemeinschaft! Nur ein Tubeless-Fahrer bleibt verschont.

Keiner der Reifen ist mehr zu retten. Flickversuche sind hoffnungslos, die Anzahl der Löcher übersteigt die Anzahl der verfügbaren Flicken! Pläne werden geschmiedet, und alle verfügbaren Ersatzreifen werden aus den Taschen gezogen. Logistik ist ein langweiliges Thema, deshalb sei nur so viel gesagt, dass wir morgen der nächsten Etappe unserer Tour entgegensehen und optimistisch sind, dass diese auch stattfindet.

Erkenntnis des Tages: Die kleinsten Dinge können den größten Schaden anrichten.

Tag 4 – Punta Leysser (2.587 hm, Abfahrt über Grat)

Meine persönlichen Helden des Tages sind Alex und Chris, die sich morgens mit dem Auto zu einem Radladen begeben, um neue Schläuche für die Gruppe zu kaufen. Das bedeutet, dass beide ihren Anstieg eine Stunde später als der Rest der Gruppe beginnen. Doch Alex‘ und Chris‘ Leistungsprofile erlauben es, die Stunde am Ende wieder gutzumachen und mit dem Rest der Gruppe am Rifugio Mont Fallere für ein Mittagessen einzukehren. Einziger Wermutstropfen: Chris‘ Steckachse am Hinterrad hat sich im Laufe des Anstiegs gelöst und erzeugt solch massiven(!) Probleme, dass er das Rennen gegen Alex fast verliert.

Der letzte Anstieg zum Gipfel, dem Punta Leysser, lässt sich wieder einmal nur die Räder schiebend bzw. tragend bewerkstelligen, doch nach 50 Minuten haben wir die 420 Höhenmeter hinter uns gelassen und blicken auf einen windigen und ausgesetzten Grat in Richtung Punta Oilletta. Die Fahrt über den Grat ist anspruchsvoll und erfordert doch noch einmal das Überwinden von einigen Höhenmetern.

Die Abfahrt belohnt uns für die Plackerei mit S1- und S2-Schwierigkeitsgraden, und der Trail windet sich steil über Schiefergestein und später durch spektakuläre Waldabschnitte.

Die Ankunft gestaltet sich schwieriger als erwartet, weil wir kurzfristig umplanen und einen vermeintlich ausgesetzten Abschnitt gegen Ende der Tour auslassen. Schade, aber sicher ist sicher.

Und hey, keine Pannen heute!

Erkenntnis des heutigen Tages: Tourenplanung ist immer eine Gratwanderung.

Tag 5 – Punta Fetita (1.490 hm, Rundtour mit Mega-Abfahrt)

Der heutige Tag ist mit seinen knapp 1.500 Höhenmetern eine echte Entspannung. Wir düsen kurz nach 9 Uhr los und erreichen den höchsten Punkt (Nähe Punta Fetita) mit 2.550 MüM und kurz nach 12 Uhr. Ein Mittagessen gibt es nicht, aber ein paar Riegel und Salamistangen werden ausgepackt und mit allen geteilt. Das muss reichen.

Alex fährt das erste kurze Stück voraus und packt seine Drone mit Kamera aus. Die erste Abfahrt soll gefilmt werden, und man sieht die restliche Truppe wie eine Herde aufgeregter Kälber den Abhang hinunterstürmen. Es ist magisch, was die Aussicht auf ein Stückchen Ruhm in Männerköpfen auslöst. Alle Bedenken bezüglich der Neigung des Hangs sind vergessen, und ab geht die Post!

Auch am fünften Fahrtag werden wir wieder mit einer fantastischen Abfahrt belohnt. Alle Fahrer geben ihr Bestes, und selbst die größten Abfahrtszweifler kommen aus sich heraus und lassen die Pfade auf sich zukommen. Es ist wahrhaftig magisch. Unzufriedene Gesichter am Ende des Tages? Keine zu sehen. Das Adrenalin wirkt nach.

Warum so kurz heute? Unmöglich das Unbeschreibliche zu beschreiben. Genauso unmöglich, wie Glück in eine Tüte zu packen und aufzubewahren. Dabei belasse ich es.

Erkenntnis des Tages: Man muss nicht immer ganz so hoch hinaus, um tiefe Zufriedenheit zu empfinden.

N.B.: Kaum Pannen heute. Dafür mehr Wein (für mich).

Tag 6 – Punta Della Croce (1.850 hm, Rückfahrt im Regen)

Der letzte Fahrtag ist angebrochen. Das Wetter hat umgeschlagen, und ab 14 Uhr soll es starken Regen und eventuell Schnee auf höherer Lage geben. Wir beeilen uns, denn diesen Tag wollen wir uns nicht entgehen lassen.

Obwohl alle erschöpft sind, fallen uns die ersten 1.500 Höhenmeter Aufstieg zum Punta Della Croce leicht, denn man kann alles mit dem MTB befahren. Die Landschaft ist großartig, auch wenn der heutige Tag sicherlich nicht zu den schönsten dieser Tour gehört; eventuell werden unsere Eindrücke auch von den dunklen Wolken getrübt, die bedrohlich heraufziehen.

Die letzten 60 Höhenmeter zum Kreuz müssen wir die Räder noch einmal für ein paar Minuten schieben. Dort angekommen, verbringen wir nicht viel Zeit mit der Aussicht, denn kühler Wind plagt unsere Nerven und Regentropfen drohen, uns die Sicht zu nehmen.

Die Abfahrt ist flüssig und rasant. Einen Platten lasse ich mir dann doch nicht nehmen, aber dank meiner CO2-Kartuschen ist mein Reifen schnell geflickt und wieder aufgefüllt. Noch ein weiterer Grund für Tubeless-Laufräder, mein kleines Projekt für den Herbst.

Was kann ich am Ende unserer Tour sagen? Vermutlich war dies die beste der vergangenen zwölf Jahre. Unsere Gruppe hat harmonisiert, die Abschnitte waren landschaftlich spektakulär, die Abfahrten suchen Ihresgleichen. Nur so viel fällt mir zum Abschluss noch ein:

Mit Freunden über Pässe quälen.
Wenn Abhänge unsere Muskeln stählen.
Landschaften uns den Atem nehmen.
Wir uns nach fremden Welten sehnen.
Bäche in die Taler rinnen.
Und Vögel in den Bäumen singen.
Die gleißende Sonne auf die Häupter sticht.
Dann kommt es mir.
Mehr brauch‘ ich nicht.

N.B.: Pannenstatistik 2020 = unterirdisch.